Schatzsuche in Dushanbe

Mai 2023

Vor rund 100 Jahren stampften die neuen Machthaber aus der Sowjetunion in Tadschikistan aus einem winzigen Marktflecken in Zentralasien eine moderne Stadt hervor: Dushanbe. Seit 1991 entsteht nun eine neue Stadt mit gigantischer Architektur, die sich der älteren Baugeschichte - und Identität - konsequent zu entledigen sucht. Dutzende historischer Bauten sind bereits verschwunden oder vom Abriss bedroht. Ganze Wohnviertel mit kleinen verwinkelten Gassen werden aufgegeben, um Platz für breite Straßen, Shoppingmeilen und Luxushotels zu schaffen. Auf den Hauptachsen reißt der Autoverkehr nicht ab. Polizei ist immer da, wo Regierungsmänner in Luxuswagen mit abgedunkelten Scheiben freie Fahrt bekommen. Nur auf dem Bahnhof regt sich stundenlang kein Wagon.

Ich sehe, das Alte ist grün, sehr grün und fruchtbar. Darunter - noch älter - die Steine, ausgetreten von der Geschichte. Das Radikale und Blutige der alten Zeit kaum zu glauben in der beschaulichen Idylle zwischen Maulbeerbäumen und Pelargonien. Auf den Hängen des Friedhofs ruhen die Zeugen der Vergangenheit und alter Konflikte nebeneinander. Reifende Ähren des verwilderten Getreides umspielen im warmen Wind die Sowjetsterne der unzähligen Gräber, die niemand mehr pflegt. "Und immer wieder wächst das Gras...," heißt es in einem Gundermannlied.

Greise Männer mit langen Bärten sind noch gegenwärtig in den Straßen, in denen mehrmals am Tag ein illustres Treiben von Kindern in Schuluniform zu beobachten ist. Frauen mit Kopftüchern tragen den Einkauf nach Hause und Frauen mit Kopf-tüchern fegen den Asphalt. Sehr feiner, gelber Sand weht um die Häuser, legt sich auf das Haar, die Wimpern, die Haut und taucht das Leben in Ockertöne. Es ist nicht nur der Staubsturm aus Afghanistan, sondern ein klebriger, giftiger Ruß aus den Schornsteinen der Heizkraftwerke und Zementfabrik, der sich an Hauswänden absetzt, die bunten Kleider mit einer dunklen Schicht überzieht und in den Lungen der Menschen lebensbedrohlich haften bleibt.

Oben, im Hochgebirge ist der Himmel noch blau, der Schnee noch weiß und das Gras noch grün. Doch in den Dörfern, wo die Zeit langsam im Schritt geht, sind die Wege geschwärzt vom Staub der nahegelegenen Kohlegruben. An den Hütten werden die Artefakte der letzten Jahrhunderte weiter verbaut. Was die Stadt auswirft, findet hier noch Verwendung. Nur in der Festung Hissar mag ich weiter an Märchen glauben.

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Herzstillstand